Unzählige Erinnerungen schlummern in tausenden von Fotos, verpackt digital in 80 GB an Daten und analog in beinahe zwei Wäschekörben bei mir. Sie alle halten Erlebnisse fest, die bereits vergangen sind. Fangen etwas von der Freude, von dem Strahlen, von der Traurigkeit, dem Gefühl des einen Moments ein – für später konserviert, um daran zu erinnern.
Manchmal hole ich sie hervor und bin wieder da an dem Ort, zu der Zeit, mit den Menschen. Manches davon verblasst, andere Details glasklar. Für die schönsten Momente, die einprägsamsten Erlebnisse brauche ich gar kein Foto. Die Erinnerungen bleiben. Meine Augen und Ohren, meine Nase und all meine Sinne haben die schönsten Momente einfach festgehalten und erinnern sich. Obwohl es davon keine Fotos gibt, sehe ich mich wieder vor mir,
wie ich vor lauter Aufregung darüber, eine Zusage für meinen ersten Job bekommen zu haben, gar nicht mehr weiß, wohin mit meiner Energie, wohin mit meiner Freude. Strahlend laufe ich Runde um Runde, während ich davon erzähle.
wie die Sonne in der Ferne langsam untergeht, während wir vom Flughafen in die Stadt, die niemals schläft fahren, beeindruckt von den unzähligen Lichtern, der Betriebsamkeit zu so später Stunde und einem ganz bestimmten Lied im Radio.
wie wir beide bis in die Dunkelheit hinein am Wasser sitzen, bei unseren Gesprächen immer mehr Gemeinsamkeiten entdecken und nicht möchten, dass dieser Abend vorbeigeht.
Von vielen dieser kleinen Momente gibt es keine Fotos, nichts, was ich anderen zeigen kann, aber sie sind doch noch da. Auf eine Art und Weise, an die nur ich mich erinnere, von der nur ich erzählen kann.
Mit dem Verlust der Menschen, die sich erinnern, verblassen Stück für Stück auch so manche Erinnerungen – verblassen die Geschichten, die Fotos. Einige Bilder aus unseren Fotobergen zeigen Menschen, die wir nicht mehr erkennen oder deren Namen wir nur noch vage wissen. Es kann aber niemand mehr berichten, wie diese Personen tatsächlich aussahen, was sie erlebt haben, wie sie waren.
Mit jeder verlorenen Erinnerung stirbt also auch immer etwas mehr von den Menschen, die uns begleitet haben. Im Disney-Film Coco verblasst die Erinnerung an einen geliebten Verstorbenen so stark, dass er droht, sich vollkommen aufzulösen. Seine Seele kann daher am mexikanischen Dià de los Muertos, ein Volksfest zu Ehren der Toten, das rund um unser Allerheiligen begangen wird, beinahe nicht mehr zu seiner geliebten Familie zurückkehren.
Auch wenn wir von ihm keine Fotos, keine lebenden Erinnerungsträger mehr haben, an eine Person werden wir uns noch lange erinnern – Jesus. Seine Lebensgeschichte wurde uns über Jahrtausende überliefert. Petrus hat sich dies, wie er selbst schreibt, zur Aufgabe gemacht:
„Simon Petrus, Knecht und Apostel Jesu Christi, an jene, die durch die Gerechtigkeit unseres Gottes und Retters Jesus Christus den gleichen kostbaren Glauben erlangt haben wie wir. […] Ich will aber dafür sorgen, dass ihr euch auch nach meinem Tod jederzeit daran erinnern könnt. Denn wir sind nicht klug ausgedachten Geschichten gefolgt, als wir euch die machtvolle Ankunft unseres Herrn Jesus Christus kundtaten, sondern wir waren Augenzeugen seiner Macht und Größe. Denn er hat von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit empfangen, als eine Stimme von erhabener Herrlichkeit an ihn erging: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Diese Stimme, die vom Himmel kam, haben wir gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren.“ (2. Petrus 1,1, 15-18)
Herr,
all meine Erlebnisse haben mich geformt,
auch die Geschichten meiner Vorfahren
haben mich zu der Person gemacht,
die ich heute bin.
Lass mich meine schönen Erinnerungen im Herzen bewahren,
fülle sie mit Leben und lass mich wieder
und wieder Freude an ihnen haben und sie teilen.
Lösche traurige Erinnerungen nicht aus,
aber hilf mir, mit ihnen umzugehen
und mache sie für mich erträglicher.
Hilf mir auch, das Andenken der vergangenen
Generationen mit ihren Geschichten weiterzutragen.
Amen